Geliebt, verehrt, bewundert – gehasst, verachtet, gescholten.
Selten hat ein Dichter bereits zu seinen Lebzeiten und auch danach die Gemüter derart entzweit.
Die ausgewählten autobiografischen Texte werden von Arbeiten aus dem Gesamtwerk der Künstlerin Ulrike Theusner begleitet und zeigen, dass Lord George Gordon Noël Byron (1789–1824) auch im 21. Jahrhundert anregend, geistreich und aktuell ist.
In die Tiefen süßester Neigung
Johann Wolfgang von Goethe,
1821 zu »Don Juan«
»Don Juan ist ein grenzenlos-geniales Werk, menschenfeindlich bis zur herbsten Grausamkeit, menschenfreundlich, in die Tiefen süßester Neigung sich versenkend; und da wir den Verfasser nun einmal kennen und schätzen, ihn auch nicht anders wollen, als er ist, so genießen wir dankbar, was er uns mit übermäßiger Freiheit, ja mit Frechheit vorzuführen wagt. Dem wunderlichen, wilden, schonungslosen Inhalt ist auch die technische Behandlung der Verse ganz gemäß, der Dichter schont die Sprache so wenig als die Menschen, und wie wir näher hinzutreten, so sehen wir freilich, daß die englische Poesie schon eine gebildete komische Sprache hat, welcher wir Deutschen ganz ermangeln.«
Ι Seite 215 Ι
see what‘s what in fact
»But now I’m going to be immoral; now
I mean to show things really as they are
Not as they ought to be: for I avow,
That till we see what‘s what in fact, we‘re far
From much improvement with that virtuous plough.«
–
»Jetzt aber will ich unmoralisch sein,
Ich will die Welt so zeigen, wie sie ist,
Nicht wie sie sein soll. Denn ich seh‘ es ein,
Bis ihr nicht bar und nackt die Facta wisst,
Bleibt der Erfolg des Tugendpfluges klein.«
(aus: »Don Juan«, XII.40)
Ι Seite: 132 Ι
Stanzen für Music
übersetzt von Anna J. Rahn
»Der Schönheit Töchter keine gleich‘
Mit einem Zauber ähnlich dir,
Wie Musik aus dem Wasserreich
Ist deine süße Stimme mir:
Sie zog, sobald ihr Ton begann,
Den Ozean in ihren Bann;
Glänzend still, die Wellen schwingen
Und die Winde träumend singen.
Und der Mitternachtsmond webend
Hell sein Netz über der Tiefe,
Deren Brust sich langsam hebend
Als ob leis ein Kindlein schliefe:
So beugt sich so vor dir der Geist,
Der dir zuhört und dich preist;
Mit der kraftvoll sanften Regung,
Wie des Sommermeers Bewegung.«
(28. März 1816)
Stanzas for Music
»There be none of Beauty‘s daughters
With a magic like thee;
And like music on the waters
Is thy sweet voice to me:
When, as if its sound were causing
The charmed ocean‘s pausing,
The waves lie still and gleaming,
And the lull‘d winds seem dreaming.
And the midnight moon is weaving
Her bright chain o‘er the deep;
Whose breast is gently heaving,
As an infant‘s asleep:
So the spirit bows before thee,
To listen and adore thee;
With a full but soft emotion,
Like the swell of Summer‘s ocean.«
(March 28 1816)
Ι 62, 63 Ι
urteilen
but our own,
we do not give mankind
a fair chance;
– it is from experience,
not books, we ought to judge of them.
There is nothing like inspection,
and trusting
to our own senses.«
–
»Wenn wir keine Nation
außer der unseren sehen,
geben wir der Menschheit
keine faire Chance;
– aus Erfahrung,
nicht aus Büchern,
sollten wir über sie urteilen.
Nichts gleicht der Überprüfung,
und dem Vertrauen
auf unsere eigenen Sinne.«
(»To His Mother« / »An seine Mutter« Newstead Abbey, November 2, 1808)
Ι 62, 63 Ι
he was a man
Heinrich Heine
Zum Tod von Lord Byron, 1824
»Ja dieser Mann war groß, er hat im Schmerze neue Welten entdeckt, er hat den miserablen Menschen und ihren noch miserableren Göttern prometheisch getrotzt, der Ruhm seines Namens drang bis zu den Eisbergen Thules und bis in die brennenden Sandwüsten des Morgenlandes. take him al in al, he was a man.
Wir werden sobald nicht mehr seines Gleichen sehen.«
Ι Seite 215 Ι
Fare Thee Well
»Fare thee well! and if for ever,
Still for ever, fare thee well:
Even though unforgiving, never
’Gainst thee shall my heart rebel«
»Lebe Du Wohl«
»Leb du wohl! Und falls für immer
Auch für immer, leb du wohl:
Selbst wenn unvergebend, nimmer
Dich mein Herz bekämpfen soll.«
(übersetzt von Anna J. Rahn)